Sievering Clinic

Competence Centre for Minimally Invasive Medical Services

Reizdarm

Beim Reizdarm handelt es sich um eine Störung des Darmes die, obwohl weitverbreitet, ist in ihren Ursachen aber noch nicht hinreichend bekannt. Das Reizkolon ist meist durch Verstopfung im Wechsel mit Durchfall gekennzeichnet. Zusätzlich treten diffuse, also nicht genau beschreibbare, Schmerzen im Bauchraum auf, die meist mit dem beginnenden Stuhlgang besser werden. Die Erkrankung ist scheinbar eine Störung der Funktion des Darmes ohne organische Ursache. Es wird vermutet, dass eine Überempfindlichkeitsreaktion auf bestimmte Nahrungsmittel und auch auf Stress und Belastungssituationen zu Fehlsteuerungen der Darmtätigkeit führt (Motilitätsstörungen). Trotzdem gilt sie als Ausschlussdiagnose, das heißt, alle anderen Erkrankungen, die ähnliche Symptome hervorrufen, müssen ausgeschlossen werden, bevor man die Funktionsstörung als Ursache dieser Störungen als Erklärung heranziehen kann. Frauen zwischen 25 und 50 Jahren erkranken 2 – 3 mal häufiger als Männer.

Klagen über Blähungen, Völlegefühl, Übelkeit, Aufstoßen, manchmal sogar Erbrechen sowie Unverträglichkeiten von Nahrungsmitteln werden laut. Aber trotz der massiven, keineswegs eingebildeten Symptome ergibt sich in der Regel bei der gründlichen Darmuntersuchung kein krankhafter Befund. Vereinzelt werden zwar Erkrankungen in der Umgebung des Darmes festgestellt, z.B. eine Gallenblasenentzündung, aber in vielen Fällen erklären sich die heftigen Beschwerden aus Fehlfunktionen des vegetativen Nervensystems, die wiederum häufig seelischer Ursache sind.

Ursachen

Symptome

Die Ursachen sind nach wie vor unbekannt, was die Diagnosestellung und Therapie erschwert. Man nimmt an, dass mehrere Faktoren zusammen wirken müssen (multifaktorielle Genese). Diskutiert werden folgende Faktoren als Ursachen oder Krankheitsauslöser:

  • eine ballaststoffarme Ernährung
  • Nahrungsmittelintoleranz. Häufig lösen bestimmte Nahrungsmittel Beschwerden aus oder verstärken diese.
  • Stress. Eine weitere Ursache wird in der Höhe der Stresstoleranz bzw. dem Ausmaß an Stress-Situationen im Alltag gesehen.
  • Seelische Konfliktsituationen
Die Symptome, die einen Reizdarm anzeigen, können sehr unterschiedlich und wechselhaft sein, was die Diagnosestellung erschwert. Blähungen und Meteorismus, aufgetriebener Leib und unterschiedliches Stuhlverhalten (fester Stuhl im Wechsel mit Durchfallphasen) sind für diese Erkrankung typisch. Beim Reizdarm wechseln sich Obstipation und funktionelle Durchfälle ab. Charakteristisch für den Reizkolon sind vor allem krampfartige oder drückende Schmerzen im gesamten Abdomen.

Die häufigsten Symptome sind:
  • Stuhlunregelmäßigkeiten (Wechsel von Verstopfung und Durchfall)
  • Gärungsstühle
  • Blähungen
  • Unverträglichkeiten von Speisen und Nahrungsmitteln
  • Schmerzen (häufig krampfartig) im Bereich des Darmverlaufs, v.a. einige Stunden nach den Mahlzeiten bzw. in Stresssituationen
  • Schleimabgang beim Absetzen des Stuhls, z.T. reine Schleimstühle

Diagnostik

Das Ziel der diagnostischen Untersuchungen ist die Sicherung der Diagnose sowie die Verlaufskontrolle mit der Feststellung möglicher Komplikationen. Erste Hinweise ergeben sich aus der Befragung des Patienten (Anamnese) und der körperlichen Untersuchung.

Neben Laboranalysen wie Blutbild, Elektrolyte, CRP und TSH wird die Untersuchung von Stuhlproben auf Parasiten und Mikroben sowie eine Koloskopie mit Biopsien empfohlen.

Untersucht werden:
  • Lysozym im Stuhl
  • Alpha1-Antitrypsin im Stuhl
  • IgA (Immunglobulin A) im Stuhl
  • Human-Albumin im Stuhl

Bei Patienten mit Durchfall ist ein Laktose-H2 Atemtest (Ausschluss einer Laktoseintoleranz) und ein Endomysium-Antikörpertest (Ausschluss von Zöliakie/Sprue) sinnvoll. Stehen Blähungen und krampfartige Schmerzen im Vordergrund, ist primär ein natives abdominales Röntgenbild indiziert. Bei Obstipation und einer typischen Anamnese obstruktiver Defäkation (starkes Pressen, fehlendes rektales Gefühl von Stuhldrang oder Gefühl des Steckenbleibens von Stuhl im Unterbauch) ist wegen der Häufigkeit analer Sphinterdyssynergie bei jüngeren Patienten eine anorektale Manometrie mit Ballonexpulsionstest sinnvoll. Falls diese Untersuchungen keinen Befund liefern, ist eine Biofeedbacktherapie indiziert.

Behandlung

Konservative Behandlung
Das Ziel der Therapie besteht darin, die Symptome zu mindern und Komplikationen zu vermeiden. Die Behandlung des Reizdarms erfolgt am besten durch eine Diät und Bewegungs- und Stressabbautherapie. Stark quellende oder blähende Nahrungsmittel verstärken häufig die Symptome, fettige Nahrung erniedrigt die intestinalen Distensionsschwellen und verlangsamt den Transit, obwohl Kolonkontraktionen angeregt werden. Koffein, Laktose, Sorbitol und Alkohol werden vermehrt nicht vertragen. Häufig wird eine stark vermehrte Einnahme von faserreichen Stoffen oder von quellenden Laxanzien (20-30g/d Faserstoffe) wie Kleie oder Psyllium empfohlen.

Entsprechende Studienergebnisse sind jedoch kontrovers bezüglich der Effektivität dieses Vorgehens und viele Patienten erleben verstärkt Blähungen oder Krämpfe. Patienten, bei denen eine Obstipation im Vordergrund steht, sprechen eher darauf an.
Die Kost von Reizdarm-Patienten sollte eiweiß- und ballaststoffreich sein. Manche Patienten reagieren gut auf eine milchfreie Ernährung. Unverträgliche Nahrungsmittel sind unbedingt zu meiden. In schweren Fällen kann die Umstellung auf eine vollresorbierbare Elementarkost (“Kosmonautennahrung”) oder sogar eine künstliche Ernährung unter Umgehung der Verdauungstraktes (z.B. intravenös) notwendig werden.

Diät:
  • Trinken Sie reichlich Wasser
  • Ballaststoffe bringen den Darm in Schwung. Erhöhen Sie die Ballaststoffmenge nur allmählich, so dass sich Magen und Darm anpassen können.
  • Vermeiden Sie Speisen und Getränke, die die Beschwerden verschlimmern. Kaffee und Milch können bei manchen Betroffenen die Hauptverursacher sein.
  • Vermeiden Sie Speisen, die zu Blähungen führen, sowie starke Gewürze
  • Essen Sie viele kleine Portionen
  • Vermeiden Sie Alkohol

Die medikamentöse Therapie mit Spasmolytika (Buscopan) mit verschiedenen Wirkmechanismen ist bei Blähungsschmerzen und Krämpfen indiziert. Belegt ist die Effektivität folgender Substanzen: Kalzium-Antagonisten (z.B. Adalat), Cimetropiumbromid (antimuscarinerg), Mebeverin (anticholinerg) und Trimebutin (peripherer Opioidagonist).

Es gibt viele weitere Präparate, die jedoch bisher nicht in adäquat randomisierten und doppelblinden Studien getestet wurden. Kombinationspräparate mit Barbituraten und Benzodiazepinen sind wegen ihres Abhängigkeitspotentials zu vermeiden. Trizyklische Antidepressiva haben einen direkten analgetischen Effekt gegen neuropathische Schmerzen bereits bei niedriger Dosierung. Trimipramin, Desipramin und Nortriptylin mit Fluphenazin reduzieren abdominale Schmerzen, Nausea und Diarrhö deutlich, haben aber keinen Einfluss auf Obstipation. Auch neuere SSRI (z.B. Sertralin, Fluoxetin, Paroxetin) sind bei chronischen somatischen Schmerzen effektiv. Ihre Wirksamkeit bei Reizdarm ist jedoch noch nicht nachgewiesen. Benzodiazepine werden empirisch mit Erfolg bei einigen Patienten verabreicht. Prokinetika wie Domperidon, Metoclopramid und Cisaprid scheinen die Defäkationsfrequenz zu erhöhen. Ihre Wirksamkeit bei Reizdarm ist aber nicht so gut belegt wie bei funktionellen Syndromen des oberen Verdauungstraktes. Laxanzien wie Laktulose oder Polyethylenglykol sind häufig nützlich. Um Blähungen zu vermeiden, ist die Gabe von rektalen Laxanzien in Form von Klysmen sinnvoll.

Bei Durchfall ist Loperamid Generika oder Imodium® akut auch über längere Zeit sehr effektiv. Reserve-Opioide sind Diphenoxylat oder Codeinphosphat. Die Opioide vermindern nicht nur den Wassergehalt des Stuhles, sondern erhöhen auch den Sphinktertonus, welches sich günstig auf die Kontinenz auswirkt. Niedrigdosierte Quellmittel können sinnvoll sein, indem der Stuhl voluminöser und Wasser gebunden wird. Falls diese klassischen Pharmaka nichtgenügend wirken, kann Cholestyramin als Gallensäurenbinder versucht werden. Alpha2- Agonisten (z.B. Clonidin), 5HT3-Antagonisten (z.B. Ondansetron oder Granisetron) und Octreotid werden als Antidiarrhoika zur Zeit noch geprüft.

Starke und einschränkende Schmerzen können durch eine langdauernde Psychotherapie gelindert, Angst und Panikattacken reduziert werden; z.B. kann die intestinal zentrierte Hypnotherapie deutliche Schmerz- und Symptomreduktionen bringen, welche über 18 Monate anhalten.

Prognose

Die Beschwerden können ein Leben lang auftreten. Sie können zu- oder abnehmen und auch für einige Zeit abklingen. Ein Reizdarm ist nicht gefährlich, er führt nicht zu Krebs oder chronischer Darmentzündung.